Hintergründiges

21. Oktober 2009

Heimweh und Sehnucht

Und hier wie versprochen die erste Erzählung...

- Könnte Sehnsucht das Heimweh nach dem Paradies des Unbegreiflichen sein? Mag es sein, wie es will....

- So einsam „Svenserum“ auch liegt, finden doch erstaunlich viele den Weg hierher. Bald nach dem bewegenden, wortlosen Sommerbesuch der alten Frau saß der Herr des roten kleinen Hauses spätabends noch auf der Bank. Da kam den Waldweg herauf ein Mensch in blauer Jacke und blauer Hose, im Arm ein schlafendes Kind. Er stutzte, blieb stehen.

- Zögernd folgte er dem einladenden Winken, kam näher, ließ den Rucksack von der Schulter gleiten, setzte sich schließlich, musterte den Hausherrn aus dem Augenwinkel, gab sich einen Ruck, legte ihm das Kind in den Arm, stand auf, zog die Jacke aus, bettete es hinein und deckte es – vorsichtig, um es nicht zu wecken – mit dem Halstuch zu.

- Dann ließ sich der Mensch daneben mit einem unterdrückten Stöhnen wieder auf die Bank sinken, band die Stiefel auf und zog sie von den geschwollenen Füßen. Kein Wort fiel. Unruhe ging von dem Menschen aus, fahrig strichen die Hände über die Knie, die Finger rieben eine Stoffalte. Stoßweise ging der Atem. Etwas wie spitze Nadeln hing in der Luft. Die Stille lastete. Nur der Schlafatem des Kindes kam und ging, leicht, hauchleicht.

- Immer wieder schauten die beiden auf der Bank zu dem vertrauensvoll schlummernden Geschöpf und harrten die ganze Nacht aus. Als es zu dämmern begann, stand der Mensch wieder auf, eckig und fahrig zugleich, schien etwas sagen zu wollen, drehte sich dann aber rasch um, ging barfuß zum Waldweg, löste sich auf in einem Morgennebelstreif. Die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich durch die Baumkronen... Rucksack, Stiefel – das Kind, alles verschwunden.

- Der ruhelose, stumme Mensch in der blauen Jacke und der blauen Hose mit dem schlafenden Kind im Arm kam noch oft zur Lichtung. Wie oft? Da war keiner, der es hätte zählen können. Der Mensch ging jedes Mal barfuß ein paar tastende Schritte im Gras, trat unter die Bäume zurück, beschattete die Augen und ließ den Blick rundum schweifen. Jede Kleinigkeit nahm er wahr, das Licht, die Spuren der Jahreszeit, Tierlaute, Knacken im Unterholz, Blätterrascheln, das Fallen eines Zapfens, das gebremste Drehen des Windrades. Er sah einzelne, stehengebliebene Gräser sich neigen, er hörte die Zeit verrinnen und die Lichtung atmen. Jede Veränderung von menschlicher Hand bemerkte er, die Wände waren durchsichtig für ihn. Er sah den neuen Bretterboden im Stall und im Haus den Korb mit Holz, bereit zum Feueranzünden. Der Anflug eines wehmütigen Lächelns huschte übers Gesicht, als der Mensch das Windspiel vom Stallgiebel und einen vergessenen Apfel ins Gras fallen hörte. Hier war jemand daheim, er war es nirgends. Nie mehr traf er jemand an. Oder kam er nur, wenn das Haus stumm wartete wie er? Kurz rastete er jedes Mal auf der Bank, war dann plötzlich verschwunden.

- Eines Tages kam er wieder, an jenem pflaumenblauen Tag auf der Schneide, wo zum ersten Mal alles schattenlos durchsichtig offenliegt wie nur in der Zeit, wo das Herz des Sommers schon die ersten Schläge im Herbsttakt klopft und es nach Reifen und Fortziehen zu riechen beginnt. Doch diesmal trug der Mensch das schlafende Kind in einem umgebundenen Tuch und führte an den Händen ein Mädchen und einen Buben.

- Aus dunklen Fenstern schaute ihnen das kleine rote Haus entgegen. Das kleine Mädchen deutete mit dem Finger auf die große Wiese hinter dem Haus, die lag ganz im Hellen ... da arbeitete einer. Er setzte vier Stützpfosten für eine neu gepflanzte Linde. Deutlich war jeder Handgriff zu beobachten, selbst hier vom fernen Rand der Wiese, so klar war die Luft. Die Kleine schaute fragend hoch. Doch der Mensch hatte die Kinderhände frei gegeben und war fort. Neben ihr stand nur mehr ihr Bruder und runzelte nachdenklich die Stirn, eine steile Falte zwischen den zusammengezogenen Brauen. Dann drehte er sich entschlossen zu seiner Schwester und warf ihr den Ball zu, den er unter den Arm geklemmt trug. Hin und her flog der Ball und schließlich schlugen ihn vier kleine Fäuste so genau und wuchtig in Richtung des Mannes unter der Linde, daß der Ball hoch in die Luft flog, größer und größer wurde, zuletzt vom Aufprall aufplatzte und...

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